BeAmba – Menschen Gestalten

 

Ausstellungseröffnung am 03.03.2018 im Atelier 21, Aachen

Ralf Gablik, Kunsthistoriker

 

Ich bin immer befangen, wenn ich mich entschlossen habe, als Fürsprecher für eine Kunst und ihre Schaffende oder ihren Schaffenden aufzutreten. Denn hinter jeder Ausstellungseröffnung steht eine heftige Liebesgeschichte. Eine Beziehung im Zeitraffer voll Begehren, Annäherung, sinnlichem Schwelgen ohne Zeit und Raum, mit einer Liebeserklärung vor Publikum als fulminantem Höhepunkt und wenn alles richtig verläuft, mit einer lebenslangen Freundschaft – zum Werk und zur Künstlerin bzw. zum Künstler.

 

In diesem Fall jedoch erlebe ich dieses besondere Dreiecksverhältnis zwischen Werk, Kunstschaffendem und Rezipienten ohne Zeitraffer und im steten Wechsel der beschriebenen Komponenten; seit vielen Jahren sind mir die heute ausgestellten Bilder vertraut. Ich lebe als Betrachter, Kritiker und begeisterter Anhänger mit den Bildern seit ihrer jeweiligen Geburt, über die Zeit der ersten Entstehungen, Krisen und Neuorientierungen hinweg, bis zu ihrer Adoleszenz und Reife.

 

Ich werde heute zunächst versuchen die vorliegenden Arbeiten der Ausstellung „Menschen Gestalten“ von BeAmba im Ganzen zu erfassen und einzuordnen, bevor ich den Versuch unternehme, mich ohne Skript und doppelten Boden auf zwei der Arbeiten ganz und gar einzulassen. Quasi live und auf mich gestellt.

 

BeAmba sagt: „Ich bilde nicht ab, ich habe kein Interesse daran, das was ich sehe, abzubilden“. Damit steht sie in bester Tradition der Moderne, die als Bewusstsein schaffende und Bewusstsein beeinflussende Bewegung vor 150 Jahren - auf Grundlage einzelner vorauseilender und vorausschauender Protagonisten wie William Turner, El Greco oder der späte und nur scheinbar altersmüde Rembrandt – bis dato unsichtbare innere Wirklichkeiten gebar, die mehr und mehr losgelöst von jeglicher Abbildungsabsicht einen Gegenstand an sich, für sich und eben nicht mehr als Substitut des rein visuell Erfassbaren darstellten.

 

Francis Bacon sagte: „Malen ist Dualität, abstrakte Malerei ist eine vollkommene ästhetische Sache. Sie ist nur wirklich interessant in der Schönheit ihrer Muster oder Formen.“ 1927 postulierte Werner Heisenberg seine Unschärferelation im Rahmen seiner Arbeit zur Quantenphysik. Die Wissenschaft renovierte damit zum Beginn des 20. Jahrhunderts grundlegend ihr bisheriges durchgehend sachlogisches Interieur ihres hervorragenden Innenarchitekten Isaac Newton. An Stelle der Möglichkeiten exakter Beobachtung und Beschreibung trat die Existenzwerdung einer zuvor gänzlich unbekannten und buchstäblich nicht denkbaren Vorstellungswelt, die sich jeder verifizierbar-abbildhaften Erfahrung entzieht und aktuell in der Hypothese der Kleinstteilchen „Quarks“ mündet, von denen einige für uns lediglich dreidimensionale Wesen schwer verständlich, erst nach zwei vollständigen Rotationen wieder in die Ausgangslage zurückkehren. Hier vermischt sich nicht zuletzt auch das Vokabular der Wissenschaft mit dem der Kunst. Beide radikalen Veränderungsphänomene der Wende zum 20. Jahrhundert sind nur zwei Seiten ein und der selben Medaille: Wissenschaft und Kunst zeigen gleichzeitig die vollständige Zertrümmerung des überkommenen Weltbildes und gleichzeitig seine vollkommene Neugestaltung.

 

Letztendlich jedoch scheitert BeAmba fast immer in ihrer Absicht, nichts Gegenständliches zu imitieren und zu emittieren. Die Neugestaltung macht sich selbstständig, sie widersetzt sich ihrer Schaffenden und deren Absichten und drängt als Verdinglichung und letztlich stets als Persönlichung an die Bildoberfläche.

 

Aber springen wir an den Anfang des Prozesses.

 

BeAmba ist zunächst Spurensammlerin von Abstraktionen in Farbe. Sie stößt auf Katalogschnipsel, Fotos, Illustriertenseiten oder Darstellungen in Kunstbänden – all das findet seinen Weg in Ihr Werktagebuch. Bekannt ist Gerhard Richters sogenannter „Atlas“ als Sammlungsforum und Ausgangsbasis für seine späteren Ausarbeitungen – BeAmba geht ohne Richters Vorbild zu meinen, instinktiv diesen Pfad.

 

Ihr Werktagebuch begleitet im Folgenden den fortschreitenden Abstraktionsprozess der Bilder ebenso wie den scheinbar sich selbst schaffenden Prozess der Gegenstandswerdung.

 

BeAmba legt viele Farbschichten auf ihre Leinwand. Dazu folgen Schichten von China-Papier, mit Acrylbinder spontan und emotional aufgebracht. So entstehen bewusste und unbewusste Setzungen auch im Wechsel wie etwa Rahmen oder sich aus dem Nichts manifestierende Strukturen.

 

Über den eigentlichen konstitutiven Schaffensprozess der Bilder sagt BeAmba: „Meine Bilder wachsen Schicht um Schicht – ich trage auf, ich trage ab, wasche weg, übermale, kratze, schabe, reibe, klebe, rolle – lasse alles zunächst intuitiv geschehen. Dabei ist alle Formgebung anfänglich der Entwicklung der Farbe untergeordnet.“ Gemeint sind dabei nicht reine oder im eigentlichen Sinne bunte Farben, sondern zumeist fast monochrom erscheinende Gelb-, Grün-, Blau- oder Brauntöne, die an der einen oder anderen Stelle von helleren Schattierungen kontrastiert werden.

 

Tatsächlich offenbaren sich bei genauer Beschau jedoch Schichten sich variierender Farben und Farbstufen. „Diese geben den Weg vor“, sagt BeAmba weiter, „ich folge, das Bild folgt, die Gestalt folgt.“

 

Francis Bacon schreibt: „Alles Malen passiert zufällig, wie ein Unfall. Und doch ist es kein Unfall, nichts daran ist zufällig – weil da jemand auswählt und entscheidet.“ So lässt BeAmba einen Prozess zu, der das Abstrakte sucht aber irgendwann stets die Gestalt, die Verdinglichung auch durch bewusste Entscheidungen findet.

 

Ihre späten figürlichen Absichten entwickeln sich nicht immer selbst aus der Struktur des Zufalls, wie dies am Bilderpaar „Grendel“ und „Meerweib“ ersichtlich wird. Immer wieder finden ihre Manifestationen auch zunächst mit Absicht Ihr Erscheinen in Einstrichzeichnungen in den Werktagebüchern und Skizzenbüchern, bevor sie in die Welt eines Bildes entlassen werden – wie dies beispielsweise die „Höhlenmenschen“ im Diptychon „Cavemen“ aufzeigen.

 

Abstraktion als Wert erstreckt sich nicht nur auf das Sichtbare sondern ganz sicher auf das Denkbare.

 

BeAmba beschreibt dazu Ausgangswerte wie beispielsweise „Gebrauchsspuren“ und abstrahiert diese über Ihre verschriftlichten Gedanken zu gelebtem Leben als Abstraktum an sich in Zeit und Raum. Sie mag die sich hier zeigende Morbidität, das Alte, das Abgetragene, in dem sich das Menschliche und seine Illusion von Zeit in einem scheinbar logischen und erklärbaren Universum zeigt. Hier findet sie die Höhlenmalerei, die alte Tür, das alte Haus, die alte Haut, das Vergammelte, das Abgenutzte, Aufgerissene. Wohl gemerkt: Ausgangspunkt ist nicht der Wert „Leben“ und seine dinglichen Nachweise, sondern umgekehrt – sie schließt von beobachtbaren Hinterlassenschaften auf das abstrakte, vergängliche, in keinem Augenblick archivierbare oder auch nur annähernd fassbare Phänomen „Leben“.

 

Akribisch dokumentiert BeAmba somit ihren gesamten Schaffensprozess – jedes Probieren, jede Technik, jedes Hervorholen und jede Bedeckung, jede Freilegung und jede Destruktion im zu übertragenden Schaffensprozess. Die Ergebnisse werden sediert, beschrieben und fortlaufend in ihren Entwicklungen dokumentiert. So werden aus den Mustersammlungen ihrer Werktagebücher eher Exponatenbücher eines Naturforschers – sehen den Aufzeichnungen Darwins zu Naturphänomenen und gesammelten Exponaten über die Galapagos-Inseln ähnlicher, als einer Beschäftigung mit der Malerei.

 

Und es ist dabei immer der Mensch, den BeAmba mal mit Distanz und viel Spielraum für die Interpretation des Rezipienten selbst und mal mit intimer und direkter Nähe zum Betrachter ins Sichtbare zerrt. Ich kenne kaum einen Menschen, der mit ihrer Intensität glaubwürdig und Vertrauen schaffend auf jeden ihr zunächst Fremden zugeht, jede Kommunikation und jedes Miteinander sucht, das scheinbar Ferne annimmt und das Leben umarmt.

 

Vielleicht gelingt es ihr deshalb, die scheinbar so distanzierten Betrachtungen auf Menschen sich nah und vertraut anfühlen zu lassen – als ob sich sogleich im nächsten Augenblick unsere besten Freunde, meine Familie oder meine Eltern aus der Ferne herannahend manifestieren – und doch sind es Fremde: der Ritter, die Flüchtenden, ein Geist...

 

Und vielleicht gelingt es ihr deshalb, die so herangerückten und fokussierten Gestalten ohne Reputation und ohne Anspruch auf Gnade auf der populistischen Bühne nur scheinbar vernünftig-moderner Vorurteile einer Gesellschaft im angeblichen Status einer ausgereiften Hochkultur, unserem Mitfühlen und unserer wertschätzenden Beachtung zuzuführen.

 

Es ist zu allen Zeiten viel und gerne über den politischen Habitus oder sogar politischen Impetus von Kunst diskutiert worden. Aber ganz gleich, ob jemand einen Standpunkt bezieht oder den Betrachtenden vereinnahmen und von was auch immer zu dessen und zu seiner eigenen Rettung bekehren möchte, sei es also ein bekennendes Testament oder der Versuch feuriger Mission, die Entscheidung, ob es sich dabei um Kunst oder irgendetwas anderes handelt, steht und fällt fast niemals mit dem Erkennen der Botschaft oder der Botschaft selbst und auch nicht mit dem Namen des Schaffenden – auch wenn man das immer wieder glaubt, sie steht und fällt mit der Ernsthaftigkeit und dem Erfolg der künstlerischen Auseinandersetzung selbst, mit der Schaffung originaler Bildnerischer Mittel und der Bedeutung, die diese für die Zukunft haben werden.

 

Masaccios „Trinität“ der italienischen Renaissance des frühen 15. Jahrhunderts ist ein einziges religiöses Statement, Auftragsarbeit für die Oberschicht und niemand will wissen, aus welchen Geldmitteln finanziert – und doch ist das Fresko in der Florentiner Santa Maria Novella ein unschätzbarer Meilenstein der Kunstgeschichte. Eben wegen der Bedeutung seiner bildnerischen Ausdrucksmittel für die Perspektive und die Sicht auf die Welt des aus heutiger Sicht mit Recht ausgehenden Mittelalters.

 

Und so bleibt festzustellen, dass man BeAmbas durchaus auch politische Botschaften nicht lediglich billigend in kauf nehmen muss, sondern nur ernst nehmen kann. Aufgrund des so persönlichen und lebensnahen Bezuges zur Künstlerin nötigen die grundlegenden Forderungen nach Mitmenschlichkeit und Respekt für das Individuum und das Leben dem Betrachter gerade durch den Transport so ausgereifter künstlerischer Mittel einen ebenso tiefgreifenden persönlichen Standpunkt ab.

 

Es wäre grenzenlos vermessen, die Zukunft einer künstlerischen Entwicklung oder eines Schaffens voraussehen zu wollen oder auch nur einschätzen zu wollen - die beiden Bedingungen erstens der Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung und zweitens der hier geschaffenen und eingesetzten Bildmittel kann ich jedoch sehr wohl einschätzen!